Die Sonne kreist um die Erde – Teil 1

Die Sonne kreist für uns immer noch um die Erde

Wir Menschen sind subjektive Wesen. Wir haben zunächst einmal keine andere Perspektive, als die aus uns heraus – wir betrachten die Welt eben aus uns selbst heraus. Objektivität ist von Natur aus nicht unsere Stärke.
Wir sind uns selbst stets das Zentrum Welt. Unsere eigenen Bedürf­nisse, Gedanken, Wahrnehmungen und Gefühle sind einfach zuerst da und sie stehen uns am nächsten.
Kurzum – für uns Menschen kreist die Sonne immer noch um die Erde, oder sogar nur um uns selbst.
Dennoch sind wir Wesen, die auch nach Sinn und Zweck unserer Ar­beit, unseres Lebens und unseres Seins fragen. Sie bemerken viel­leicht, das ich stets <> verwende, denn die weitergehen­den Fragen, die über unser eigenes Sein hinausgehen, werden von den meisten Menschen selten gestellt. Die Sonne scheint für mich, damit ich Licht und Wärme habe. Der Regen fällt, damit ich zu trin­ken und Wasser zum Baden habe. Der Apfel wächst, damit ich ihn essen kann und so weiter.
Wir Menschen haben aber dennoch die Möglichkeit, objektiver zu werden, uns zu entwickeln.

Ich kenne zwei Möglichkeiten, die sich in keiner Weise ausschließen, sondern sich vielmehr in fast perfekter Weise ergänzen können, so­fern man das zulässt. Die eine Weise ist die Wissenschaft. Hier kann man lernen, objektiv und unabhängig vom Wesen des Menschen zu beobachten und zu verstehen. Sie erfordert eine gewisse Distanz zu den Dingen und auch zu sich selbst und ermöglichte uns in den letz­ten Jahrhunderten einen enormen technischen und zivilisatorischen Fortschritt. Sie brachte uns ganz essentielle Erkenntnisse über die Welt um uns herum und auch über uns selbst, manchmal so tief und detailliert, dass viele Menschen sie ohne weitere Einarbeitung gar nicht mehr verstehen. Dies führt aber auch leider oft durch unsere Subjektivität zur Ablehnung oder Negation eben dieser wichtigen und korrekten Erkenntnisse und ich sehe große Schwierigkeiten dies­bezüglich auf uns zukommen. Denn der Abstand und oft auch der scheinbare Widerspruch dieser Erkenntnisse zu unserer ursprüngli­chen Subjektivität wird eben auch als Angriff auf die eigene Wahr­nehmung und das eigene Sein wahrgenommen. Daher ist die Ver­mittlung und allgemein verständliche Darstellung dieser Erkenntnis­se von großer Wichtigkeit, um keine Ängste und Widerstände zu ver­mehren, gerade wenn diese Erkenntnisse im Widerspruch zu unserer Subjektivität stehen. Es ist dabei aus meiner Sicht gar nicht so wich­tig, die ganze Vielfalt an Details und Tiefe zu vermitteln. Es kann nie­mand mehr in allen Fachgebieten alle Themen in Gänze verstehen. Dazu ist unser Wissen viel zu sehr angewachsen. Wir bräuchten mehr Vermittler zwischen diesen Welten. Menschen, welche die eine Brücke zwischen diesen beiden Extremen bilden und das Subjektive mit der Wissenschaft verbinden und so eine Harmonie zwischen die­sen beiden Welten herstellen können.
Die andere Weise ist eine eher spirituelle Möglichkeit, die eigentlich in vielerlei Hinsicht das Gegenteil dazu darstellt. Hier geht man ge­zielt von sich selbst aus und stellt eine Verbindung zum Außen her, die bewusst subjektiv und zutiefst menschlich bleibt.
Auch hier gibt es einige grundverschiedene Herangehensweisen, die zum großen Teil von kulturellen und traditionellen Gepflogenheiten geprägt sind.

Allen diesen spirituellen Möglichkeiten gemeinsam ist das Endergeb­nis: das Erlebnis einer Einheit ohne Grenze zwischen dem Objekt und dem Subjekt. Das Sein wird als Ganzes erlebt, ohne das eine Un­terscheidung stattfinden muss, was bin ich und was bist du. Viel­mehr ist alles ich oder noch besser gar kein ich, sondern nur ein Sein, das nicht mehr als ich identifiziert wird.
Aus meiner Sicht sind zwei Wege besonders hervorzuheben, da sie wunderbar zu kombinieren sind und geschichtlich auch aufeinander aufbauen, aber völlig andere Herangehensweisen ermöglichen. Die Kombination dieser beiden Wege öffnet vielfältige Möglichkeiten, sich zu mehr Bewusstsein zu entwickeln und ermöglicht so mannigfaltige Erlebnisse. Dies sind der Schamanismus und der Sufismus.

Im Sufismus wird dazu ein besonders interessantes Konzept benutzt; das des Liebenden und des Geliebten. Ich finde dieses Konzept be­sonders trickreich, weil es einige Eigenheiten des subjektiven menschlichen Seins für sich ausnutzt. Sicherlich waren wir alle schon einmal so richtig verliebt und haben die Erfahrung gemacht, dass wenn wir verliebt sind, durchaus dazu bereit sind, das eigene Ich hin­ten anzustellen und uns völlig auf den Geliebten einlassen. Das geht so weit, dass wir zeitweise keinen Unterschied mehr machen zwi­schen uns, dem Liebenden, und dem Geliebten. Wir empfinden uns als Eins mit dem Geliebten.
Genau das macht der Sufismus. Er entfachte die uns innewohnende Kraft der Liebe und richtet sie aus auf den Geliebten, um genau die­se Trennung dazwischen aufzuheben.
Dazu ist es notwendig zu verstehen, dass der Sufismus keine Religion darstellt, sondern vielmehr eine Mystik. Diese Mystik ist nicht an eine bestimmte Religion gebunden. Sie findet sich heutzuta­ge allerdings aus geschichtlichen Gründen überwiegend im Islam. Aber auch die christliche Geschichte hat viel von dieser Mystik zu bieten. Ein Beispiel ist Meister Eckehardt, in den Texten „Wo Gott keinen Namen hat“. Allerdings hatte die Kirche anschei­nend kein großes Interesse, diese Lehren zu tolerieren und sie sich weiter entwickeln zu lassen.
Wo immer die Mystiker der Sufis von Gott – oder Allah – reden, kann man auch das „Universum oder Schöpfung oder …“ darunter verste­hen. Dies macht im Grunde genommen keinen Unterschied. Ein Glaube im christlichen Sinne ist in gewisser Weise sogar hinderlich, denn sowohl der Sufismus als auch der Schamanismus sind Mystiken, die Erfahrungen vermitteln können, nicht aber Glauben. Was wir als Menschen erfahren, das geht in unser Sein, in unser Leben über und wir brauchen keinen Glauben, da es erlebt wird. Mit dem Glauben ist das eine ganz andere Sache, die ich hier nicht weiter ausführen möchte.

Doch zurück zur Liebe. Die Liebe ermöglicht es uns, die Grenze zwi­schen dem Ich und dem Du, dem Subjekt und dem Objekt aufzuhe­ben. Dadurch das wir lieben, sehnen wir uns nach dem geliebten Ob­jekt und wünschen uns eine Vereinigung mit ihm – dem geliebten Objekt. Wir streben eine völlige Verschmelzung mit dem g(G)elieb­ten (Objekt) an. Um das allerdings zu erreichen, ist eine Grenzaufhe­bung notwendig. Die Grenze zwischen dem Ich und dem Du, dem lie­benden und dem g(G)eliebten (Objekt) muss verschwinden.
Das macht die Sehnsucht nach Verschmelzung, nach Einheit ja gera­de aus. Aber dennoch ist unser ich gerade so konstruiert, dass es auf Grenzen basiert, einer deutlichen Abgrenzung zwischen ich und dem Rest der Welt.
Man denke nur an unsere Erziehung und an die Psychologie, wo und gelehrt wird, wie wichtig es sei Grenzen zu ziehen und sie auch ge­gen andere zu verteidigen. In diesem Punkt steht die Psychologie und die Soziologie dem spirituellen Erleben zunächst scheinbar ge­nau entgegen.
Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass auf dem Weg zu diesen Erfahrungen von Einheit, Liebe und Verschmelzung vieles aus unse­rer Persönlichkeit erst einmal bewusst und überwunden werden muss und zum Teil auch weichen muss.
Durch genau die Abgrenzung des ich vom Rest der Welt entsteht eben genau auch diese zentrische, egozentrische Weltsicht der Men­schen. Wir alle schauen zunächst aus uns heraus hinein in eine Welt, die getrennt von uns wahrgenommen wird. Es entsteht eine Illusion von Getrenntheit, denn natürlich sind wir niemals von unserer Um­gebung getrennt. Vielmehr sind wir ein Teil von ihr. Die meisten kön­nen das auch gedanklich nachvollziehen – doch leider nicht mehr er­leben! Und genau das macht den Unterschied.

— Weiter in Kürze in Teil 2 —

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