Die Sonne kreist um die Erde – Teil 2

Sowohl der Schamanismus als auch der Sufismus bieten vielfältige Möglichkeiten diese Grenze aufzuheben. Beide Mystiken kennen vie­le Übungen und Meditationen, die es ermöglichen in einen Seins-zu­stand zu kommen, in dem diese Grenze nicht mehr existiert. In der Regel zunächst nur zeitweilig, später dann aber auch dauerhaft möglich.
Im Schamanismus sind dabei besonders die Elementmeditationen hervorzuheben, die es ermöglichen in der Natur diesen Zustand zu erreichen und ihn sogar für sich nutzbar zu machen. Einer­seits durch eine erweitertes, liebevolles Bewusstsein und Mitgefühl für sich selbst, aber auch für Andere und andererseits durch ganz praktische Fertigkeiten, die so „nebenbei“ erlernt werden.
Dadurch entsteht eine Form der Wahrnehmung oder des Denkens, das viel vernetzter und nicht linearer (eher spiralförmig, umgreifend) ist, als unsere „normale“ kausale Wahrnehmung und das zugehörige Denken. Kreisläufe und Zusammenhänge insbesondere in der Natur und in sich selbst werden leichter wahrnehm- und erlebbar.
Es entsteht eine Verbindung zu sich selbst und zu allen Wesen um sich herum, eine Beziehung, die zunächst eine Art von Erstaunen dar­stellt. Ein Erstaunen über all die Dinge, welche man vorher nicht wahrgenommen hat, die plötzlich aber natürlich, liebevoll und auf eine Art tröstend und Sicherheit spendend sein können. Dies wieder­um führt zu noch mehr Öffnung und Hingabe und ein Voranschreiten dieser Entwicklung bis alles, was um uns herum ist, als eine Art Ein­heit wahrgenommen wird, in der jedes Wesen seinen Platz besitzt und in Kreisläufen miteinander und mit allem liebe- und sinnvoll verbun­den ist. Nichts davon wird dann noch als besser oder minder wahr­genommen, sondern als das, was es ist. Nicht mehr und nicht weni­ger.
Daneben finden im Schamanismus auch verschiedenste Drogen An­wendung, die, sofern man sie richtig und in einem sinnvollen Kontext anwendet, sehr hilfreich sein können. Außerhalb dieses Kontextes und ohne die richte Erfahrung und Begleitung können diese aber auch sinnlos und sogar gefährlich sein.
Aber auch Techniken und Rituale, wie Trancen, können auf diesen Weg führen.
Im Sufismus wird der gleiche Zustand durch einen anderen Weg er­reicht – durch die Liebe. Diese ist imstande, genau dieselbe Wirkung zu entfalten, wie die Techniken im Schamanismus. Die Liebe muss nur so stark und umfassend auf das Ziel (den Geliebten) gerichtet sein, dass alle anderen Aspekte der eigenen Persönlichkeit aufgege­ben werden und alle Grenzen oder Beschränkungen überwunden werden. Danach befindet man sich einem Zustand eines liebevollen Eins-Seins mit einfach allem. Gleichzeitig ist das Ich, die vorherige Persönlichkeit, nicht mehr vorhanden. Vielmehr wird das eigene Sein auf eine ganz interessante Art gleichzeitig als alles und auch nichts wahrgenommen. Es ist eine Art von Wissen oder Erleben von umfas­sendem Sein, ohne jedoch eine genaue kausale Angabe darüber ma­chen zu können. Kurzum ein Zustand von Glück, Liebe, Heimat, Freu­de und Mitgefühl in einer ruhigen und kraftvollen Weise.
Dann kreist plötzlich die Erde um die Sonne und trotzdem ist alles so wie es ist, genau richtig.
In diesem Seins-zustand ist die Hingabe der eigenen Grenzen nicht mehr gefahrvoll, sondern natürlich und erfüllend. Das Bedürfnis die­se Struktur wieder aufzubauen nicht mehr vorhanden. Sondern ganz im Gegenteil: Es wäre ein Gefängnis, das man nicht mehr betreten möchte. Dennoch kann man es betreten, wenn das alltägliche Leben es erforderlich macht, nur kann man es dann auch jederzeit wieder verlassen, die Tür wird nicht mehr endgültig verschlossen.
In dem man diesen Zustand erreicht, rückt man die eigene Wahrneh­mung von sich selbst zurecht. Man findet gefühlt den Platz im Leben, der einem zusteht in dem Sinne, dass es genau der Platz ist, den man perfekt ausfüllt. Gleichzeitig erlebt man alle lebenden Wesen als Fa­milie, als Brüder und Schwestern (gleich wie im Schamanismus) de­nen man mit Zuneigung und Mitgefühl begegnet. Das bedeutet aber auch, dass die eigene Unwichtigkeit im Verhältnis zum Ganzen erlebt wird, allerdings in einem nicht-wertenden Sinn. Es ist einfach so, dass das Ganze, die Einheit so viel mehr ist als man selbst als Einzelner. Dennoch erlebt man sich als wertvoller Teil des Ganzen, ohne dass man sagen könnte, welcher Teil man ist, oder welchen Anteil man daran hätte, was im Erleben dann auch überhaupt keine Rolle spielt. Das sind Gedanken, die der Vergangenheit der Begrenztheit angehö­ren und nicht mehr von Belang sind.
Gleichzeitig Teil eines Ganzen, man selbst und auch Nichts zu sein, ist zutiefst befreiend. Ohne die strukturellen Grenzen der vorherigen Person erlebt man auch keine Getrenntheit mehr. Diese Illusion, dass man alleine sei und dass man unbedingt eine Partnerschaft bräuchte, um Einsamkeit oder Getrenntheit zu überwinden, schwindet. Das be­deutet nicht, dass man Freundschaft und Partnerschaft nicht zu schät­zen weiß, aber man benötigt sie nicht mehr, um glücklich und erfüllt leben zu können. Auch in diesen Aspekten kreist dann die Erde wie­der um die Sonne.
Der Respekt, das Mitgefühl und die Liebe, die auf diesem Weg in ei­nem Menschen entsteht, führt dazu, dass sich das gesamte Leben sehr positiv verändert. Zunächst im inneren Erleben, dann aber auch im äußeren Leben. Mit diesen gelebten Qualitäten verändern sich unsere Entscheidungen und auch unser Handeln. Wenn man selbst nicht mehr stets im Zentrum der eigenen Wahrnehmung steht, dann führt das natürlich dazu, dass Bedürfnisse Anderer wichtiger sein kön­nen als die eigenen. Erreicht man auch nur zeitweise diesen Zu­stand, dann spielen auch Ängste, Befürchtungen und bisher gelebte Muster keine große Rolle mehr. Sie können noch da sein, aber der Drang ihnen zu folgen ist erloschen. Man kann ihnen noch folgen, muss es aber nicht mehr.
Durch das Erleben der Welt, wie sie wirklich ist, sind andere Aspekte wie Einheit, Harmonie, Gleichgewicht, Respekt und Mitgefühl viel wichtiger geworden als alte Muster und Ängste, die sowieso in die Vergangenheit gehören und insofern nicht real sind.

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